Geschichten aus dem Dienstleben

Luft oder Panzer - hätte das die Welt verändert?

Die drei anglo-amerikanischen Bombenangriffe auf Dresden am 13. und 14. Februar 1945 erlebte ich, derzeit am westlichen Stadtrand wohnend, drei Kilometer vom Beginn der Bombenteppichkante entfernt. Es waren, das künftige Leben prägende Erfahrungen, die in dem Spruch "Lieber nichts zu Essen als noch einen Krieg" zusammengefasst wurden. Dazu kam der tägliche Schulweg durch die Trümmerwüste ab Herbst 1945 in die Dresdner Neustadt. "Mit Buch und Gewehr vowärts zum Sozialismus" als eine zentrale Losung der damaligen Aufbauzeit und die antifaschistische gesellschaftliche Erziehung führten zu meinem Entschluss, nach dem Abitur zur Kasernierten Volkspolizei (KVP) zu gehen. Zunächst begeisterte ich mich als neugieriger Bastler für die Nachrichtentruppen. Später schwenkte ich auf die KVP-Luft um, da deren Uniform beeindruckend war: Jacke mit nicht geschlossenem Kragen, graublaues Hemd mit Schlips, blaue Kragenspiegel und Schulterklappen sowie ein blaues Schirmmützenband mit silbernem Flügel- und Propelleremblem.

Am 10.August 1954, ein Monat nach meinem 18. Geburtstag, war Termin bei der "Kreisregistrierabteilung" (Vorläufer der Wehrkreiskommandos). Dort wurde verkündet: "Ab heute sind Sie Angehöriger der KVP" - dieses Postulat wurde mir einige Tage später jedoch zum lustigen Verhängnis. Am 12. August sollten wir uns um 10:00 Uhr in der Kuppelhalle des Dresdner Hauptbahnhofes einfinden. Mein Vater war Buchhalter und ich wuchs sozusagen "etwas bürokratisch" auf. Das schlug sich auch darin nieder, dass ich in Dresden immer nach dem Straßenbahnfahrplan unterwegs war - so auch an diesem Tag.

In der Kuppelhalle versammelten sich einige junge Leute um einen Offizier in Uniform am genannten Stellplatz. Ohne eine namentliche Bestandsaufnahme zu machen, ging es zu den Bahnsteigen des Kopfbahnhofes. Damals wurden als Fahrtrichtungsanzeiger fingerartige Blechschilder aufgezogen und da stand für den angestrebten Bahnsteig "Großenhain" dran. Da kriegte ich Bedenken, weil ich ja nach Kamenz/Sa. wollte und überdies war mein Klassenkamerad auch nicht erschienen. Auf meine Frage an den Begleitoffizier, wo es denn hin ginge sagte der: "Nach Großenhain zu den Panzern." Da war ich wohl falsch. Es stellte sich heraus, dass ich zwar mit den richtigen Minuten mit der Straßenbahn gefahren war - aber eine Stunde zu früh! Schließlich rückte ich doch planmäßig in Kamenz in das "Objekt I" ein. Das war damals die "Fliegertechnische Schule der Verwaltung der Aeroklubs", später entwickelte sich daraus die Offiziershochschule "Franz Mehring". Nach 1990 wurde ein Behördenzentrum des Freistaates Sachsen angesiedelt. Ob sich der Verlauf der Weltgeschichte sehr verändert hätte, wenn ich in Großenhain bei den Panzern eingestiegen wäre??

Am nächsten Tag Einkleidung und Ausrüstung. Der "Spieß" (Hauptfeldwebel oder Mutter der Kompanie) mit Familienamen ANTON machte dann auch eine Namensliste und trug nach seiner Frage an mich zum Einstellungsdatum den 10. August 1954 ein, so wie es in der Kreisregistrieabteilung definitiv angesagt worden war. Nun nahm das Verhängnis seinen Lauf. Unsere Offizierschüler-Kompanien setzten sich aus zwei Gruppen zusammen - nämlich einerseits die "Neuen" die am 12. August eingerückt waren und Soldaten aus anderen Bereichen der Verwaltung der Aeroklubs, die bereits ein halbes Jahr Wachdienst hinter sich hatten.

Am 14. August, also zwei Tage nach dem Einzug in Kamenz, erschallte nach dem Mittag die überlaute Stimme des Hauptfeldwebels nach meinem Namen - warum ich nicht zur Wachbelehrung erschienen sei. Also im Laufschritt-marsch-marsch zu dieser mir natürlich total unbekannten "Veranstaltung". Letztlich war ich eingeteilt mit einem Aufführenden und zwei anderen "gestandenen" Wachsoldaten für den "KDP" (KontrollDurchlassPosten - Eingang zur Kaserne), kriegte eine MPi-41 und die Schutzmaskentasche umgehängt und hatte von nichts eine Ahnung. Der liebe "Spieß" hatte die Wacheinteilung aus dem Bestand der Leute vorgenommen, die vor dem 12. August in die Stiefel gehüpft waren - da gehörte ich mit dem 10. August "natürlich" dazu.

Wie es die Wacheinteilung so wollte, hatte ich am nächsten Tag früh von 07:00 bis 09:00 draußen zu stehen. Höflich wünschte ich allen, die durch das Tor wollten, einen guten Morgen - dass es galt, Ausweise zu kontrollieren, hatte mir keiner gesagt! Gegen 08:00 erschien ein körperlich sehr gewaltig erscheinender Offzier und erhielt sein "Guten Morgen". Statt durchzugehen baute er sich erwartungsvoll vor mir auf - blieb ebenfalls erwartungsvoll länger stehen - und brüllte, da ich nicht reagierte los: "Wissen Sie nicht wer ich bin? Ich bin der Hauptmann KRAFT!!" Auch ich nannte meinen Namen und der Offizier schritt kopfschüttelnd von dannen. Meine getandenen Wachkumpel klärten mich dann auf: das war der Stellvertreter des Schulkommandeurs und hatte laut Vorschrift eine Meldung zu kriegen - woher sollte ich das wissen? Erst dadurch bekamen die Wachkumpel mit, dass ich erst zwei Tage dabei war. Das rettete mich auch nicht vor der nächsten Katastrophe.

In der letzten Schicht am frühen Nachmittag kam ein Zivilist an die Wache und fragte mich, ob es hier einen HO-Laden gäbe, der auch Schuhe verkaufe. Zufällig wusste ich, dass es gleich neben dem Stabsgebäude eine Verkaufsstelle gab und sagte ihm, er solle doch mal reingehen und fragen. Das Schicksal wollte es so: im Laden fiel er als Zivilist wem auf, der zufällig dort war? Dem Hauptmann KRAFT vom morgendlichen Desaster. Da war wieder was los - letztlich bekam er mit, dass ich eigentlich noch garnicht Soldat, geschweige denn Wachsoldat sein konnte.

Etwas Gutes hatte das Datum vom 10. statt 12. August auf der Liste des Hauptfeldwebels doch: ich bekam für 2 Tage mehr Geld als die mit mir eingerückten Neulinge - 20 DDR-Mark. Das war doch was für das "erste selbst verdiente Geld."

Im zweiten oder dritten Lehrjahr plautzte ich noch einmal mit dem besagten KRAFT zusammen. Es war Sonnabends nach Schulschluss - Reinigungsdienst mit Eimer, Besen und Schaufel vor dem Schulgebäude - danach sollte es Ausgang geben. Beim Betrachten des Reinigungserfolges fiel mir noch ein ganz kleines Papierschnipselchen auf, welches ich mit der Stiefelspitze in eine Abwasserkanalabdeckung beförderte. Dass ich bei meinen Reinigungsbemühungen aus einem Fenster des Schulgebäudes beobachtet wurde, konnte ich nicht ahnen. Aus einem aufgerissenen Fenster schrie eine laute Stimme im berliner Dialekt: "Jenosse Offz-Schüler - wat ham'se soebend in det Jully jeschmissen??" Wer wars - der KRAFT (inzwischen Major). Wer oder was ist ein berliner "Jully" - ich als Sachse kannte das nicht und fragte doof zurück: "Wohin geschmissen?" "Na in det Jully". Wir konnten uns nicht einigen und er eilte "zum Tatort". Nachdem er mir gezeigt hatte, was er meinte, fuhr es mir heraus: " Ach so - in die Schleuse!" Nun wusste der wieder mal nicht, was eine sächsische Schleuse ist.

Ende der Geschichte: der Ausgang war gestrichen.