Geschichten aus dem Dienstleben
Die "illegale" Mechanikerschule

Im Oktober 1957 nahm ich nach Absolvierung des 3-jährigen 2. Stabsoffizierslehrganges der "Fliegertechnischule Schule" der Luftstreitkräfte in Kamenz meine erste Offiziersdienststellung ein. Ich wurde an den Standort Drewitz (bei Cottbus) versetzt und dort "Stellvertreter des Stabschefs des Fliegergeschwaders-9 (FG-9 - damalige Bezeichnung) zugleich Offizier für Organisation und Nachweisführung". Diese Funktion beinhaltete auch die Personalverwaltung des Truppenteils für den Bestand an Soldaten und Unteroffizieren bis Oberfeldwebel.

Unser Geschwader war, damals so üblich, bezüglich des Stellenplanes des fliegertechnischen Personals höchstens zu 60% bis 70% besetzt. Das hatte natürlich Auswirkungen auf die Gewährleistung des Flugdienstes - die Technik war da, nur die Flugzeugführer langweilten sich und konnten die Vorgaben zu den Flugstunden nicht erfüllen - die Vorgesetzten waren genervt. Es fehlte an Mechanikern -also Unteroffizieren- aller Spezifikationen in den Staffeln. Die Verwaltung der Aeoroclubs (damalige Bezeichung des späteren Kommandos Luftstreitkräfte bzw. Kommandos Luftstreitkräfte-Luftverteidigung) konnte seit eh und je nie den vollen Bedarf zur Verfügung stellen.

Es mag 1958 oder 1959 gewesen sein, als ich in meinem Panzerschrank ein Gesetzblatt der DDR entdeckte in dem geschrieben stand, dass ein Truppenteilkommandeur der NVA Soldaten selbständig einstellen konnte; und ein Fliegergeschwader war nun mal ein Truppenteil. Also offerierte ich dem Geschwaderkommandeur die Idee, wir besorgen uns selbst Soldaten und bilden sie selbst zu Mechanikern aus. Er war begeistert und holte den Kommandeur des FG-7 (ebenfalls in Drewitz stationiert) mit ins Boot.

Also machte sich eine "Werbegruppe" unter Leitung des TDK-Chefs Oltn. REHN in den Bereich des Wehrbezirkskommandos Leipzig auf und sprach mit interessierten Jugendlichen über einen dreijährigen Dienst als Flugzeugmechaniker bzw. Spezialist der anderen fliegertechnischen Fachrichtungen. Wohl bemerkt: zu dieser Zeit gab es noch keine Wehrpflicht. Der Erfolg war überwältigend und das Wehrbezirkskommando höchst zufrieden, da es seine Norm nun endlich einmal übererfüllt hatte.

Also zogen in Drewitz Scharen von Fliegern (damalige Dienstgradbezeichunung für Soldaten in den Luftstreitkräften) ein, die nach der regulären Grundausbildung zu Unteroffiziersschülern wurden und qualitätsgerecht ihre Fachausbildung erhielten. Und dann war die routinemäßige Stärkemeldung des Truppenteils an die vorgesetzten Stäbe fällig: 100% vom Stellenplan!

Die unmittelbaren Vorgesetzten in der 3. Fliegerdivision stolperten darüber nicht - die waren eingeweiht. Aber das Kdo. LSK war entsetzt, nachdem es mitbekam, dass es sich nicht um einen Schreib- oder Statistikfehler handelte. Es fiel eine grollende Delegation der Fachabteilung in Drewitz mit Oltn. LEUNER an der Spitze ein mit der Forderung, die an "unserer Uffz.-Schule" lernenden Schüler sofort zu entlassen - wir würden den "gesamten Zuführungsplan des Kommandos" durcheinanderbringen und was wir uns sonst noch herausgenommen hätten ..... Die Geschwaderkommandeure ließen sich das nicht gefallen und genossen lächelnd die Unterstützung des Kommandeurs der 3.FD.

Natürlich entlud sich Mißmut auf mich als Urheber und Letzter in der Befehlskette - aber nur wörtlich - alles blieb beim Alten - ich war im Kommando seit diesem Zeitpunkt bekannt und berüchtigt, was mir in der Folgezeit auch nicht geschadet hat. Übrigens sind vereinzelte Spezialisten aus dieser Aktion bis zur Auflösung der NVA 1990 dabeigeblieben; zumindest einer im späteren Offiziersrang.

Im Zusammenhang mit meinem ersten Offizierseinsatz gab es noch (aus heutiger Sicht lustige) Nuancen.

Als nach Ernennung zum ersten Offiziersdienstgrad -damals noch Unterleutnant- bei einem Schulappell die Einsatzdienststellungen verlesen wurden, konnten weder ich noch die Fachlehrkräfte mit der Dienststellung "Offizier für Org.-Nachweis" etwas anfangen. So etwas stand in keinem von uns Offz.-Schülern zu paukenden Stellenplänen und meine Mitschüler feixten. Später konnte ich mir evt. einen Reim daraus machen: es war vermutlich "die Rache der Kaderabteilung". Ich hatte nämlich keine Westverwandtschaft, was damals als sehr sehr guter Karrierepluspunkt galt. Im Einsatzgespräch schlug man mir vor, ich sollte "VS-Stellenleiter" machen -also hinter Gittern geheimes Papier verwalten. Das lehnte ich rundweg ab.

Nun kam ich also mit den an den Standort Drewitz verplanten Jungoffizieren auf der Ladefläche eines LKW H3 mit Plane und Anhänger nachmittags an. Dort wartete schon der SC des JG-9 Hptm. Wal(t)her KUNZE auf seinen "Neuen". Etwas barsch bedeutete er, ich sollte schnell meinen Koffer vom Hänger holen, ihn in der Unterkunftsbaracke abstellen und mitkommen. Und was macht mein Koffer? Er ging auf und alle Habseligkeiten verteilten sich auf dem Boden!

Dann bewegten wir uns im Geschwindschritt in das Flugplatzobjekt, ich sah zum ersten mal mein Stabsgebäude und mein zukünftiges spartanisch eingerichtetes Arbeitszimmer, wo mich der SC "abgab". Dort wartete schon ungeduldig ein Leutnant (Walter KUJAT) und sagte die Sätze: "Gut das Du kommst - hier sind die Schlüssel und die Petschaft - ich hau jetzt ab, weil ich morgen heirate - morgen kommt die Unteroffizierin aus dem Urlaub - Du weißt ja, was Du machen mußt!" Und entschwand.

Ich stand da und wußte immer noch nicht, was diese Funktion zu bedeuten hatte. Das erklärte mir erst ab dem nächsten Tag die Mitarbeiterin Uffz. Brigitte KUNSCHKE aus Guben. Der "positive Nebeneffekt" aber war, dass die über meinen unbekannten Einsatz ehemals feixenden Mitschüler, die sich stolz "Staffelstabschef" nennen durften, bei mir zum Rapport antreten mussten.